Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung von Hannes H. Wagner und Heidi Wagner-Kerkhof

Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung von Hannes H. Wagner und Heidi Wagner-Kerkhof in der Willi-Sitte-Galerie-Merseburg am 02. August 2014

Kennen Sie den freundlichen Pfeffergeschmack der zerstoßenen Rosa Beere? Mit ihr würzt meine Frau fast jeden Tag das Dressing des Salates, empfohlen in den “Rezepten zum Prassen bei knappen Kassen” von Hannes H. Wagner. Sein Kochbuch “Leben zum Fressen gern”, 2007 in der Edition Menschhausen erschienen, und hier angeboten, versah Hannes mit dem Signum eines Selbstporträts als Faun. Es fällt leicht, zu den beiden Wagriers, mit dem Titel “In faunischer Gemeinschaft”, eine künstlerische Präsentation zu zeigen.

Im heiteren Signum Hei-Han-Wag, den chinesischen Schriftzeichen verwandt, fügt Hannes H. Wagner in die Rundungen des großen W zwei Köpfe mit bebrillten Augen, und mit weiblichem Mund einerseits und männlichem Schnauzbart andererseits, ähnlich wie ihn sein Schüler Georg Marcks beschrieben hat, mit “großem, hüpfendem Schnauzbart und der Brille obenauf”. So vereinte er die eigenen Gesichtszüge mit denen seiner Frau Heidi.

Heidi Wagner-Kerkhof spricht von “43 Jahren glücklichem Miteinander”, womit wir einen kleinen Beitrag zur Geschichte der Kurnsthochschule Burg Giebichenstein in Halle leisten können. Und zum im nächsten Jahr bevorstehenden 100jährigen Jubiläum seien Erinnerungen angebracht. Mit wunderbarer Heiterkeit begann das Miteinander noch in der ersten Hälfte ihres Studiums, einer Zeit, da sie und Hannes Wagner in seinem Atelier die Arbeitspausen zur liebestollen Gemeinsamkeit nutzten. Wir können es im Bild “Atempause” erspähen, ein Gemälde von 1977, das in einer späteren großen Ausstellung in der Merseburger Wllli-Sitte-Galerie zu sehen sein soll.

Heidi Wagner-Kerkhof erwarb an der Hochschule für Industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein 1971 das Diplom als Designerin, bevor sie bei Gerhard Lichtenfeld drei Jahre dranhing, um fortan als Bildhauerin und Medailleurin freischaffend zu arbeiten. Es war für sie bei Gerhard Lichtenfeld, für den sie auch Radierungen druckte, “eine schöne Zeit des Dialoges”. Von ihr sehen wir eine Reihe von Kleinplastiken, verschiedene Terrakotten, wie den “Durchbruch”: die weiche Form durchbricht die harte, den Stahl. Oder die Terrakotta das “Kleine Denkmal”, 1992, wo sich das Verwandlungsmotiv ihrer kubisch gebauten Steinskulptur “Atlas” von 1997 andeutet. Mit Hannes, so schrieb mir Heidi, war die “Grafik der Schnittpunkt, wo wir uns trafen”. Doch in den 90er Jahren hat sie “das Radieren nicht weitergetrieben und Gedanken in kleine Reliefs umgesetzt”. Überwiegend sehen wir von ihr etliche ihrer schönen Medaillen, die auch in bedeutenden Sammlungen vertreten sind, wie “Inferno Sarajevo”, 1992, und “Durchbruch”, 2001, im Besitz des British Museums. In der FIDEM-Auswahl von Neuchatel war sie mit der Bronzemedaille “Balance” von 1994 vertreten. Auf dieser baut sie, konstruktiv wie heiter, die grundlegenden Formen übereinander; bei einem Rundköpfigen mit Zylinderhals auf der Spitze seiner Dreieck-Nase einen Kreis, respektive eine Kugel, und darüber ein Viereck, respektive Würfel, sicher ausbalanciert. Bei manchen Medaillen geht sie von literarischen Vorwürfen aus, wie von Herbert Rosendorfer, der nach 1933 die “Deutsche Suite” schrieb mit grotesken Adligen und Nazis. Darunter “König Speckh”, 1997, der sich bei Heidi Wagner vor dem Bauch das Angeeignete hält und ein Sinnbild der Macht darstellt. Die besondere Eigenheit der Künstlerin zeigt sich auch hier, wie das Tragische und Satirische ebenso zusammengeht wie die konstruktiven Formen mit den sinnlichen, malerischen, manchmal zu piktogrammartigen Zeichen verdichtet, wie bei der “Message” zu einer Arche Noah oder zum konfrontativen “Dialog” oder das Zerstörende der “Last”.

Einen präzisen Reliefhymnus schuf Heidi Wagner mit “Antiker Dialog” auf die antike Tragödie. Streng zeigte sie das Dialogische, das sich konträr im Willen der Antagonisten und im Gegensatz von Einzelperson und Chor ausdrückt. Aus der Antike kommen einige Themen, die ihr Werk mit dem von Hannes verbinden. Dass mythologische Themen nicht allein zur heiteren Lebenslust hinführen, sondern ebenso zum tragischen Leid, zeigt ihr “Bedrohter Pan ( II )”, 1991, der im sanften Fallen seine Syrinx aus den Händen verliert. Er stürzt über eine Form, die in ihrer Konstruktivität auf in der Zivilisation liegende Hindernisse hindeutet, die Pan und die Lebenslust bedrohen. Ein Topos, dem auch Gemälde zu Pan von Uwe Pfeifer angehören. Dem Metamorphose-Gedanken geht Heidi Wagner immer wieder nach, so in der Gestalt des Schmetterlings, der sich in der 2. Fassung besonders gut zeigt, da dessen malerische Gestalt sich mit der plastischen Umgebung verbindet, aus der er sich löst. Zur Medaille “Metamorphose” von 2007 schrieb mir Heidi: “Meine Gedanken sind dabei gewesen, das langsame Herauskommen, das Durchwandern verschiedener Schichten der Entwicklung in dieser Zeit. Ich dachte da an meinen großen Enkelsohn, er ist heute 23 und beobachtete sein langsames Werden vom Kind zum jungen Mann.”

Im Metamorphose-Motiv, wie in den Medaillen mit Pan, Satyr und Theseus, nähert sich ihr Bilddenken dem Hannes Wagners, mit dem sie sich diese Exposition teilt.

Für Hannes H. Wagner, eigentlich Johannes Hugo Wagner, begann seine Vita 1922 in Schneeberg, allem zum Trotz erlebte Hannes den Aufstieg zum Professor (1977), wurde 1987 schließlich Emeritus, die Vita endete 2010 in Halle. Nach einer verkürzten Lehre zum Chemiefacharbeiter bei Agfa Wolfen wurde er zum Studium der Malerei an Burg Giebichenstein weggelobt. Er kam in Halle, in eine, nach Eberhard Roters, “ganz eigentümliche geistige Wetterecke in Deutschland” und fühlte sich bei den “Querdenkern” offenbar wohl. Die mythopoetische Orientierung, die insbesondere von Crodel und Bunge schulbildend und inspirierend in die Studentenschaft der “Burg” getragen wurde, fiel bei Albert Ebert, in der Keramik bei Heidi Manthey und besonders bei Hannes Wagner auf fruchtbaren Boden, der als Freundinnen Satire und Humor nannte.

Das erleben wir in seinen etwa 15 Varianten von “Selbst als Theseus”, wo er sich als ganz anderer Theseus einführt. Üblicherweise begibt sich Theseus in das Labyrinth und kämpft mit den Minotauros, den er ersticht. Doch das Schicksal des Minotauros bewegt Hannes Wagner. Er sieht seine Ambivalenz, das Aggressive und zugleich Leidende. Von Pablo Picasso angeregt, ist Minotauros auch das “Gleichnis eines hilflosen Befangenseins im Animalischen” (Lexikon der Kunst, IV, S. 756). Doch Hannes Wagner zeigt Minotauros als seinen verwandten Freund. In seiner Einsamkeit habe er sich nach Freundschaft gesehnt; da kommt er der Ballade „Minotaurus“ von Friedrich Dürrenmatt nahe. Mit der Literatur und der Mythologie eng verbunden und vom erzgebirgischen Vater streng gläubig nach der Bibel erzogen, stellt er sich selbst als einen Theseus dar, der dem Christophorus gleich, auf seinen Schultern den Minotauros trägt. Besonders mit den Radierungen greift er immer wieder hinein ins volle Menschenleben und gelingen ihm ambivalente und komplexe Bildzeichen der widersprüchlichen Zustände.

“Schwarzer Humor” durchdringt seine Radierungen “Unmaßstäbliches zur Chirurgie” von 1973. Die treffsicheren, frischen Linien, mit denen die Szene heruntergeschrieben ist, sprechen eine heitere Sprache. Während in der 2. Fassung die Operation beendet ist und der Arzt mit den herausgeholten Gallensteinen jongliert, steht bei der 1. Fassung die OP noch bevor. Die Szene selbst, die sich nach dem Fensterausblick zu urteilen, in einem halleschen Krankenhaus abspielt, zeigt den Künstler selbst, in seiner traurigen Gestalt, auf dem Operationstisch. Der Holzhammer hat wohl schon einmal dafür gesorgt, daß der wohlbeleibte Patient in die Narkose weggesunken ist. Nun liegt das geröntgte Operationsfeld, nämlich des Patienten linkes Bein, über der Schulter des Operateurs. In seiner Unschlüssigkeit macht er keinen vertrauenserweckenden Eindruck. Etwas trübsinnig denkt er, wie unbeständig die menschliche Gesundheit ist und dass sich die Stoffe, aus denen der Mensch zusammengesetzt ist, wenig dauerhaft sind. Und in diesem Fall: Absägen oder Nichtabsägen – das ist hier die Frage! Jedenfalls hört der Kranke schon einmal probeweise die Posaune des “Jüngsten Gerichtes”, die ein Engelchen bläst. Mit treffsicheren und scharfgezeichneten, aber auch malerisch die Figuren umspielenden, immer frischen Linien schrieb er die Szenen herunter. Sie sprechen eine Sprache in unverwechselbar heiter-trübsinniger Weise. Das ist wohl seine Besonderheit, Heiteres und Elegisches so miteinander zu verschmelzen. Ohne den Vorwurf zu scheuen, literarisch zu sein, brachte er Alltagsgeschehen auf erzählerische Weise, mit hohem Kommunikationswert und als künstlerische Form der Kritik auf den Punkt. Da werden Menschen marionettengleich von Marionetten mit Fäden gelenkt! Die Kaltnadelradierung von 1980 ist so aktuell wie die Versammlung voller Horcher und Gucker von 1989 oder der Schubkastendenker, der hier in zwei Fassungen, von 1994 und 1996, einer 20er Auflage, gezeigt wird.

Mit Heidi Wagner teilt Hannes Gemeinsamkeiten, in der kritischen Sicht auf die deutsche Vereinigung, wenn er in seiner Radierung “Vom Kennenlernen”, 1993, zeigt, wie sich Ossi und Wessi aus der Nähe durchs Fernrohr betrachten. Eine Radierung ironisiert “Die treue Hand”, 1994, mit deren unseligen Nachwirkungen wir immer noch zu kämpfen haben. Sympathisch macht Wagner, dass ihn aufregte, was die meisten aufregt, dass er, wie Gerald Schellhorn schrieb, als “sinnenfroher Moralist (…) sich selbst als Betroffener unter Betroffenen mit einbringt”, dass er in seinen Bildern lachen, traurig und zornig, ironisch und gelassen sein konnte. Dem am Lebensende seinen Sinnen entschwindende geliebte Welt setzte er seine optimistische, heitere Grundhaltung entgegen und die Kreativität des schriftstellernden Künstlers. Sein Leben und Werk sind ein Lob der Lust am Leben – trotz alledem.

Mit drei heiteren Aphorismen von ihm möchte ich schließen:
“Erst eine Prise Verworfenheit macht fades Wohlverhalten genießbar.”
“Den Zähnen schadet keine noch so scharfe Zunge.”
“Lebenslang Maß halten – eine maßlose Zumutung.”